Am Mittwoch, den 24.04.2019, 18:02 +0200 schrieb Thomas Güttler:
Wenn ich eine Termineinladung per Mail bekomme, kann ich die im Thunderbird akzeptieren. Dumm ist bloß, dass diese Info ("Thomas G wird teilnehmen") nicht zum Einladenden kommt.
Ja, wir sind eine ähnliche Route gegangen. Über die Jahre haben und hatten wir immer einen starken DIY/Selfhosting-Background, haben viel unserer notwendigen Infrastruktur inhouse betrieben, den überwiegenden Teil davon auf Linux/Debian. Das hat auch über Jahre hinweg gut geklappt. Über lange Zeit waren die Mitarbeiter auch "privat" relativ untechnisiert, haben bestenfalls SMS auf Mobiltelefonen geschrieben und hatten Technik im Büro.
Spätestens mit den Smartphones, Google, Apple beobachte ich hier grundlegende Änderungen, die vor allem auch in die Erwartungshaltung an die Firmen-IT hinein strahlen. Die Nutzer sehen, was möglich ist. Mithin:
Plötzlich *wollen* die Leute nicht mehr akzeptieren, daß es (in der Konstruktion mit lokalem SMTP/IMAP-Server und verschiedenen CalDAV/Groupware-Systemen, die wir in den Jahren probiert haben) über einen Desktop-Kalender schwierig bis unmöglich ist, (a) die Terminkalender aller relevanten internen Beteiligten und des Besprechungsraumes für eine Terminfindung zu sehen, (b) einen Termin festzulegen, in der einer der Besprechungsräume und alle Beteiligten verfügbar sind, (c) der dann auch diese Ressourcen, und sei es vorläufig, "blockt" und (d) nach Empfang/Bestätigung durch die Beteiligten "verbindlich wird.
Plötzlich *wollen* die Leute auch nicht mehr akzeptieren, daß Instant Messaging über das lokale XMPP-System auf den Arbeitsplätzen mit Clients passiert, die wie 1990er-ICQ aussehen und sich auch genau so bedienen lassen, bei denen der Verlauf bestenfalls "zufällig" zwischen den Geräten synchronisiert und man unter Umständen auch mal Nachrichten übersieht, weil der Client entweder beim Minimieren den Konferenzraum verloren hat oder es nicht für nötig erachtete, eine Benachrichtigung zu zeigen.
Plötzlich *wollen* die Leute nicht mehr hinnehmen, daß Argumente wie "Datenschutz", "wir können es selbst betreiben" und "es ist Open- Source" ins Feld geführt werden als Begründung dafür, daß nur 75% der Features abgedeckt werden, die andere "marktgängige" Lösungen können, und vor allem die tatsächlich relevanten Use Cases schlecht bis nicht funktionieren. Warum auch? Am Ende des Tages legt Dir Google GDPR- Compliance vor, gibt Dir einen korrekten AV-Vertrag, der ISMS-Mensch nickt das ab, damit ist doch alles gut...?
Was ist bei uns dann zunächst passiert? Shadow IT. Der interne Chat wurde den Erwartungshaltungen nicht mehr gerecht, also haben sich die Leute eine WhatsApp-Gruppe aufgemacht, die Entwickler einen Slack- Channel (weil sie das auch von Open-Source-Projekten schon kannten) Der interne Kalender blieb hinter den funktionalen Wünschen zurück, also haben die Kollegen begonnen, sich selbst mit Google Calendar auf ihren Androids und im Browser zu helfen, um dienstliche Termine zu koordinieren. Daneben (ich habe leider nicht die komfortable Situation, *nicht* für den Betrieb der Infrastruktur verantwortlich zu sein) merkst Du, wenn Dir eine beliebige Groupware-Komponente (wir haben mit ownCloud-Erweiterungen wie auch Open-XChange versucht zu arbeiten) bei einem weiteren Upgrade auf die Füße fällt, daß das Aufrechterhalten dieser Infrastruktur immer mehr Zeit und Energie kostet, die Dir an anderen, wichtigeren Stellen (Entwicklung, Betrieb, Optimierung unserer eigenen Anwendungen und Dienste) einfach fehlt. Erschwerend kommt hinzu, daß es derzeit nahezu aussichtslos ist, Personal für den systematischen Betrieb komplexerer Infrastruktur auf Linux-Basis am Markt zu finden.
Irgendwann bleibt die Frage, wie "low-level" Du benötigte Dienste selbst betreiben kannst und willst. Ich bin nicht restlos glücklich über diese Entwicklung, sehe aber im Umkehrschluß auch, daß wir auch in anderen Bereichen "Spezialisierung" erleben und das Level, unterhalb dessen man Dienstleistungen einkauft, stückweise "nach oben" rutscht. Vor Unix war Computing noch sehr massiv an tatsächliche Hardware gebunden. Mit Unix und später Windows ist die Abstraktion eine Ebene weiter hoch gerutscht, hat man angefangen, Anwendungen für ein Betriebssystem, nicht mehr für eine spezielle Maschine zu schreiben. Mit Virtualisierung haben wir es intern irgendwann geschafft, Anwendungen auf VM-Basis zu bündeln und auszurollen und haben keine Zeit mehr damit verschwendet, mit dem IBM-Support darüber zu diskutieren, daß wir auf dem supporteten e-Series-Servern Debian und nicht RedHat oder SuSE fahren wollen.
Mittlerweile haben wir Technologien wie docker und lassen die Entwickler (mit deutlich geringerem administrativen Aufwand und weniger Reibereien) Anwendungen in Containern packen, die teilweise bei uns, teilweise in Container-Infrastruktur im RZ unseres Dresdner Providers laufen. Mit Amazon Lambda, "Function-as-a-service" und dem ganzen Kram wird sich das absehbar noch ein Stück weiter verändern. Das ist nicht nur gut... manchmal vermisse ich massiv die Möglichkeit, den gesamten Stack "in Tiefe" zu durchdringen, zu verstehen, wie die Rädchen ineinandergreifen und was man wie zu tun hat, damit das Gesamtsystem läuft. Und: Die Komplexität, die man als gegeben hinnimmt, wird immer größer, was enorme Risiken birgt.
Auf der anderen Seite eben hat man (in meiner Branche) dann Services wie Autodesk BIM360 als Kollaborationslösungen, die selbst ein Großkonzern wie Autodesk als "powered by Amazon Cloud" anpreis - mit der klaren Aussage: *Selbstverständlich* werden wir uns hüten, dafür selbst Infrastruktur hochziehen zu wollen, wenn es das besser und preiswerter, als wir es jemals könnten, am Markt gibt. Wenn das aus der Erwägung von Autodesk wirtschaftlich so aussieht, stellt sich die Frage eigentlich gar nicht, wie das für ein KMU rechnen kann. Und dort sind Betrachtungen wie organisatorischer Aufwand (etwa durch Themen wie DSGVO, ISMS, ..., oder das dafür notwendige Personal und die Qualifikationen im Betrieb - dazu fand ich https://twitter.com/isotopp/status/1009364595084025856 und den Folgethread sehr treffend) noch gar nicht explizit betont.
Kurzum: Zumindest in meiner Filterblase, zurückkommend zum Ausgangspunkt, sehe ich, daß sich die Rolle von "IT-Administration" zunehmend ändert. Tatsächliche "Detail-Experten", Mail-Admins, ..., wandern zunehmend zu großen Strukturen (bzw. sind auch jetzt kaum noch am Markt verfügbar). "IT" in Unternehmen wird zunehmend weggehen von Eigenbetrieb, hin zu Bewertung, Einkauf, Integration, internem Support von Lösungen, wie das auch in anderen Bereichen passiert: Wieviel Unternehmen etwa haben jetzt noch eigenen Fuhrpark mit eigenen Kfz und eigener Werkstatt, die die Fahrzeuge selbst pflegen?
Das wirkliche Problem, das ich bei dieser ganzen Entwicklung sehe, ist, daß Infrastruktur zunehmend weiter und umfangreicher als bisher von einzelnen Konzernen abhängig wird, deren Lösungen in dem Treiben unersetzbar werden. Dagegen hilft FLOSS nicht mehr. Dagegen braucht es andere Konzepte, wie wir Nutzern, Privatpersonen, Firmen Dienste auf Augenhöhe mit Google und Amazon, aber ohne Google und Amazon anbieten. Das wäre auch politische Aufgabe, aber dort (vorsichtig formuliert) tun sich derzeit alle extrem schwer... :(
Viele Grüße, Kristian