Message: 15 Date: Wed, 14 Jan 2004 15:27:36 +0100 From: Fabian =?ISO-8859-1?Q?H=E4nsel?= fabtagon@gmx.de To: lug-dd@schlittermann.de Subject: RE: Trolle und Kant'scher Imperativ Reply-To: lug-dd@schlittermann.de
Konrad Rosenbaum konrad@silmor.de wrote:
On Tuesday 13 January 2004 12:56, habitusDD wrote:
Ich glaube, da hat jemand den kategorischen Imperativ nicht richtig verstanden. Es gen=FCgt nunmal nicht, lediglich die Grundlegung zur "Metaphysik der Sitten" (1785) zu lesen, man sollte dann auch wenigstens"Die Kritik der (reinen) praktischen Vernunft" (1788) gelesen haben....
=20 Kannst Du das f=FCr uns Nicht-Philosophen mal erkl=E4ren? Ich habe weder das eine, noch das andere gelesen.
Muss man auch nicht, wenn man nicht gerade an der nat=FCrlichen Varianz von nat=FCrlichen Sprachen interessiert ist.
Kant stellt in der "Metaphysik" (meta - dar=FCber hinaus; Physik - reale, wissenschaftlich fassbare Welt) kurz gefasst fest: 'Handle so, wie du es f=FCr richtig halten w=FCrdest, dass dein Handeln zur allgemeinen Maxime/Gesetz werde'; sprich: handle so, das du es vertreten kannst, dass deine Handlungsweisen zum allgemeinen, konstitutionalisierten Gesetz(=3DGesetz, welches in Gesetzbuch geschrieben wird/steht) erhoben werden k=F6nnten.
'Praktische Vernunft' hei=DFt einfach, dass mir mein naturgegebener Verstand so einigerma=DFen sagt, was richtig und was falsch ist (in moralischem Sinne). Um das Zusammenspiel von diesem Naturverstand, der Erkenntnis (durch rationales Denken) und den Gef=FChlen gehts in der "Kritik".
mfg, Fabian
Hallo (Konrad und Fabian),
erst mal muß ich mich bei der Liste entschuldigen und anmerken, daß ich etwas überreagiert habe. Erstens gehört diese Diskussion mit Sicherheit nicht in diese Mailingliste; und zweitens hat ja keiner von den Teilnehmern der Liste diesen Unfug auf der Website verzapft - was ich beim Lesen zu nächtlicher Stunde mißverstanden hatte. Na ja, jeder macht mal'n Fehler - SORRY.
Nun gut. Fabian hat im Großen und Ganzen mit seiner Antwort Recht. Der kategorische Imperativ lautet "Handle so als ob die Maxime Deines Willens jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung dienen könne." Die Problematik, die Kant in seiner "Kritik der praktischen Vernunft" (vorgedacht in seiner "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten") diskutiert, ist von der Frage geleitet, wie eine allgemein anerkannte und gültige Moral/Ethik begründet werden kann - und von jedem Menschen einsichtig geteilt werden kann. Es geht also um eine universelle Moral. Der kategorische Imperativ (Kategorien sind bei Kant Vernunftbegriffe) ist als eine Art "Metaregel" zu verstehen. Jede Handlungsbegründung/-maxime, die formal (sic!) den Kriterien des kI entspricht, kann als moralisch richtig und somit "gut" oder ethisch korrekt angesehen werden (sozusagen common sense). Warum nun soviel Aufhebens von der ganzen Geschichte? Dazu ein kurzer Abstecher in die Philosophiegeschichte.
Im Bereich der Moralphilosophie hat sich seit der Antike bis ins Mittelalter eigentlich nicht allzu viel getan (von Plato und Aristoteles bis Rousseau und Hobbes). Alles, was im Bereich der Ethik und Moralphilosophie in diesem Zeitraum "produziert" wurde geht über eine theologische Begründung nicht hinaus und ist also der Religionsphilosophie zuzuordnen. Dann kamen eben letzgenannte Herren mit diametralen Ansichten. Für Rousseau war der Mensch sozusagen von Grund auf gut, er benötigte den Staat (auch als moralische Instanz) lediglich zur Organisation der individuellen Interessen (klingt bissel nach Sozialromantik). Hobbes hat das genau andersherum gesehen; für ihn ist der Mensch von Grund auf schlecht; und er braucht den Staat als Machtinstanz, damit die menschlichen Wölfe sich nicht gegenseitig zerfleischen - Wolf unter Wölfen (lupus inter lupi) - sehr schön nachzulesen in seinem "Leviathan" (Das ist alles auch immer Staatsphilosophie - auch bei Platon bzw. Aristoteles; siehe "Der Staat" [de rei publicae] bzw. "Nikomachische Ethik").
Kant versucht diesen Widerspruch in seinem philosophischen System aufzulösen. Für ihn ist der Mensch weder von Grund auf schlecht noch gut. Der Mensch ist für ihn ein vernunftbegabtes Wesen - und hat damit per se die Möglichkeit zu Moral und für ethisches Verhalten (anders als Tiere). Damit diese Vorstellungen sozusagen interpersonal geteilt werden können hat er den kI als formales Kriterium formuliert. Um das alles besser verstehen zu können, müßte man noch einen Ausflug in seine Erkenntnistheorie machen. Soviel sei hier nur vermerkt, daß Kant scharf zwischen Verstand und Vernunft unterscheidet. Die Vernunft ist das Vermögen der Ideen und Prinzipien. Ideen sind reine Vernunftbegriffe - und entbehren damit jeglicher empirischer Begründung. Alle Erfahrung hingegen ist dem Vestand zugeordnet. Kant hat damit auch den damals ketzerischen Gedanken geäußert, daß Gott lediglich eine Idee sei - und damit unerfahrbar und auch unbegründbar ist. Er hat in seiner "Kritik der reinen Vernunft" (seine Epistemologie) ja auch alle Gottesbeweise ad absurdum geführt - ziemlich spannend. Den zweiten Diskussionsstrang, den Kant aufgegriffen hat, ist der Streit zwischen den Empirikern und den Rationalisten. Die wichtigsten sind David Hume (emp.) und Rene Descartes (rat.) - letzterer hat mit seinen "Medidationes de prima philosophia" DAS bahnbrechende Werk neuerer Philosophiegeschichte geschrieben. Der Satz "Ich denke, also bin ich" (cogito ergo sum) geht auf ihn zurück. Die Fragestellung ist ähnlich der der großen Moralisten im Bereich der Erkenntnistheorie anzusiedeln - wie ist Erkenntnis überhaupt möglich? Die Empiriker sagen einfach, daß alle Erkenntnis lediglich der Erfahrung entpringen könne (z.B. "Was gibt mir die Gewißheit, daß morgen wieder die Sonne aufgeht? - Weil ich es gewöhnt bin." [Hume] - also aus Erfahrung.) Demgegenüber stehen die Rationalisten, die sagen, daß "reine" Erkenntnis nur unabhängig von Erfahrung gewonnen werden kann - beispielsweise Erkenntnisse der Mathematik. Die Gegenstände der Mathematik haben ja kein Pendant in der Natur - es gibt ja keinen "richtigen" Kreis in der Natur - er ist somit eine Idee. Diese Ideen sind für die Rat. also vor der Erfahrung da, und die Erfahrungen ordnen sich diesen Ideen unter. Das ist immer noch ähnlich wie bei Plato's Ideenwelt (siehe Höhlengleichnis und die Unterscheidung zwische res extensa [erfahrbare, "ausgedehnte" Welt] und res cogitans ["gedachte" Welt]). Kant hat nun versucht, beide Richtungen miteinander zu vereinen. Das hat er in der "Kritik der reinen 'theoretischen' Vernunft" getan. Dort hat er eben die Unterscheidung zwischen Verstand (Erfahrungsbegriffe, Naturgesetze etc. "Der Verstand schreibt der Natur die Gesetze vor.") und Vernunft eingeführt. Alles weitere Denken leitetet sich für Kant aus dieser Unterscheidung her. Einem Problem bleibt freilich auch Kant weiter verhaftet - wie läßt sich denn (Selbst-)Bewußtsein begründen? Für ihn liegt dies im Bereich des Transzendentalen und damit im Bereich der Metaphysik.
Die Einzigen, die das (heute noch gültige) Denksystem Kants weiter entwickelt und das Bewußtsein (und damit auch in der Konsequenz Moral und Ethik) einer rein metaphysischen Begründung entzogen haben, sind die Sprachphilosophen. Der populärste Vertreter ist Jürgen Habermas, der Kants Transzendentalphilosophie ein sprachphilosophisches Fundament gegeben hat. Bewußtsein und Sozialität sind in der Sprache selbst begründet (Siehe "Theorie des kommunikativen Handelns".*
OK, das soll erst mal dazu genügen.
Fabian hat in einem Punkt Unrecht - es gibt keinen Naturverstand - das ist nämlich genau die Vernunft - und somit rein, d.h. VOR aller Erfahrung. Aber das ist wohl eher eine begriffliche Unschärfe.
*Mittlerweile gibt's auch einen Robert Brandom mit seiner "Kritik der expressiven Vernunft" - das hab'sch aber noch nicht weiter gelesen.
LG Uwe
//U.Werler
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