Liebe Leute,
nachdem ich als fachfremde Person hier seit Jahren nur gelegentlich herumlurke, versuche ich jetzt mal den direkten Zugang ins Herz der IT-Kompetenz zu nutzen ;^)
Gegeben sei eine Organisation (im kirchlichen Bereich, tut aber erst mal nichts zu Sache) in der es gerade strukturelle Veränderungen durch Zusammenlegungen gibt. Es gibt einige hauptamtliche und viele ehrenamtliche Beteiligte mit _sehr_ heterogenen Beziehungen, insgesamt geschätzt etwa hundert Leute.
Ein Kern an Verwaltungstätigkeit ist relativ streng geregelt und an die übergeordnete Behörde gebunden, mit umfassenden Archivierungs- und Datenschutzregeln. Auch das muss aber modernisiert werden.
Darüber hinaus bestehen aber viele Gremien und Gruppen mit teils wechselnden Mitgliedern und Aufgaben, deren Mitarbeit und Interaktion ausdrücklich erwünscht ist und gefördert und erleichtert werden soll.
Wie schafft man es nun (ohne ein Untenehmensberatungsunternehmen zu befassen) die verschiedenen Bedürfnisse so zu sammeln und zu strukturieren, dass man eine angemessene technische Unterstützung für Kommunikation und Datenverarbeitung konzipieren und dauerhaft pflegen kann?
Es ist leider so, dass bisher kaum Problembewusstsein besteht, den Wildwuchs an improvisierten Insellösungen zu konsolidieren und gerade besteht die Gefahr, dass sich das schnell weiter wächst und sich verfitzt.
Mensch könnte nun die Beteiligten (evtl. auch gruppenweise) zusammen holen und als Brainstorming Wünsche und Probleme einsammeln und die Ergebnisse hernach im kleinen Kreis sortieren. Es könnte aber auch sinnvoll sein, z.B. in einem Fragebogen gezielt Informationen zu sammeln, damit das nicht ausufert und die Beteiligten vorwiegend relevante Informationen liefern.
Nachgedacht werden müsste dann zuerst über Prozesse, Rollen, Sicherheitsanforderungen usw., danach über geeignete Plattformen und Services und erst dann über technische Umsetzung: Hardware, Administration und Skalierung.
Das kann alles einerseits beliebig komplex werden, ist aber andererseits ein allgegenwärtiges Thema und sollte sich auch mit normaler Lebenserfahrung adäquat bearbeiten lassen.
Sind euch Verfahren oder Hilfsmittel bekannt, wie man das Problem partizipativ und niederschwellig angehen könnte, ohne komplett alles neu zu erfinden? Wie fragt ihr z.B. eure Kunden nach den Bedarfen?
Ich bin neugierig auf eure Meinungen, vielleicht verweist ihr mich ja auch eher woanders hin, bis dahin noch schönes Wochenende!
Viele Grüße Udo Forstmann
Bin noch im Shabbat-Mpdus, daher kurze Antwort bitte nich falsch verstehen:
Nimm' Nextcloud.
Damit kannst du vermutlich und theoretisch alle Probleme erschlagen, die du hast.
shalom.
Am 15. Mai 2021 14:13:05 MESZ schrieb Udo Forstmann udo@forstmann.eu:
Liebe Leute,
nachdem ich als fachfremde Person hier seit Jahren nur gelegentlich herumlurke, versuche ich jetzt mal den direkten Zugang ins Herz der IT-Kompetenz zu nutzen ;^)
Gegeben sei eine Organisation (im kirchlichen Bereich, tut aber erst mal nichts zu Sache) in der es gerade strukturelle Veränderungen durch Zusammenlegungen gibt. Es gibt einige hauptamtliche und viele ehrenamtliche Beteiligte mit _sehr_ heterogenen Beziehungen, insgesamt geschätzt etwa hundert Leute.
Ein Kern an Verwaltungstätigkeit ist relativ streng geregelt und an die übergeordnete Behörde gebunden, mit umfassenden Archivierungs- und Datenschutzregeln. Auch das muss aber modernisiert werden.
Darüber hinaus bestehen aber viele Gremien und Gruppen mit teils wechselnden Mitgliedern und Aufgaben, deren Mitarbeit und Interaktion ausdrücklich erwünscht ist und gefördert und erleichtert werden soll.
Wie schafft man es nun (ohne ein Untenehmensberatungsunternehmen zu befassen) die verschiedenen Bedürfnisse so zu sammeln und zu strukturieren, dass man eine angemessene technische Unterstützung für Kommunikation und Datenverarbeitung konzipieren und dauerhaft pflegen kann?
Es ist leider so, dass bisher kaum Problembewusstsein besteht, den Wildwuchs an improvisierten Insellösungen zu konsolidieren und gerade besteht die Gefahr, dass sich das schnell weiter wächst und sich verfitzt.
Mensch könnte nun die Beteiligten (evtl. auch gruppenweise) zusammen holen und als Brainstorming Wünsche und Probleme einsammeln und die Ergebnisse hernach im kleinen Kreis sortieren. Es könnte aber auch sinnvoll sein, z.B. in einem Fragebogen gezielt Informationen zu sammeln, damit das nicht ausufert und die Beteiligten vorwiegend relevante Informationen liefern.
Nachgedacht werden müsste dann zuerst über Prozesse, Rollen, Sicherheitsanforderungen usw., danach über geeignete Plattformen und Services und erst dann über technische Umsetzung: Hardware, Administration und Skalierung.
Das kann alles einerseits beliebig komplex werden, ist aber andererseits ein allgegenwärtiges Thema und sollte sich auch mit normaler Lebenserfahrung adäquat bearbeiten lassen.
Sind euch Verfahren oder Hilfsmittel bekannt, wie man das Problem partizipativ und niederschwellig angehen könnte, ohne komplett alles neu zu erfinden? Wie fragt ihr z.B. eure Kunden nach den Bedarfen?
Ich bin neugierig auf eure Meinungen, vielleicht verweist ihr mich ja auch eher woanders hin, bis dahin noch schönes Wochenende!
Viele Grüße Udo Forstmann
Sorry Lucas,
On 16/05/2021 13:52, Lucas Liebetrau wrote:
Bin noch im Shabbat-Mpdus, daher kurze Antwort bitte nich falsch verstehen:
Nimm' Nextcloud.
Damit kannst du vermutlich und theoretisch alle Probleme erschlagen, die du hast.
Nextcloud ist in dieser Phase in etwa so hilfreich wie der Vorschlag zum Shabbat einen schönen langen Spaziergang zu machen. Die Chancen auf Umsetzung sind gering und es will nicht so recht passen. Beides sollte später vorgeschlagen werden... ;-)
Shalom!
Konrad
Hi,
Du hast ein Problem. Die schlechte Nachricht: es ist im Wesentlichen nicht technischer Natur. Will heißen: die technischen Aspekte sind anspruchsvoll, aber lösbar - die nicht-technischen Aspekte sind richtig schwierig. Die gute Nachricht: Du hast erkannt dass Du ein Problem hast - das ist mehr als die meisten jemals schaffen.
On 15/05/2021 14:13, Udo Forstmann wrote:
nachdem ich als fachfremde Person hier seit Jahren nur gelegentlich herumlurke, versuche ich jetzt mal den direkten Zugang ins Herz der IT-Kompetenz zu nutzen ;^)
Gegeben sei eine Organisation (im kirchlichen Bereich, tut aber erst mal nichts zu Sache) in der es gerade strukturelle Veränderungen durch Zusammenlegungen gibt.
Mal wieder...?
Es gibt einige hauptamtliche und viele ehrenamtliche Beteiligte mit _sehr_ heterogenen Beziehungen, insgesamt geschätzt etwa hundert Leute.
Ein Kern an Verwaltungstätigkeit ist relativ streng geregelt und an die übergeordnete Behörde gebunden, mit umfassenden Archivierungs- und Datenschutzregeln. Auch das muss aber modernisiert werden.
Hier liegen die auf direktem Weg lösbaren Probleme. Angestellten kann man Weisungen erteilen (in Grenzen).
Darüber hinaus bestehen aber viele Gremien und Gruppen mit teils wechselnden Mitgliedern und Aufgaben, deren Mitarbeit und Interaktion ausdrücklich erwünscht ist und gefördert und erleichtert werden soll.
Hier wird es richtig schwierig - Freiwillige durch eine Migration bringen ist wie Katzen hüten im freien Feld. Einige werden weglaufen, der Rest wird etwas unerwartetes machen.
Wie schafft man es nun (ohne ein Untenehmensberatungsunternehmen zu befassen) die verschiedenen Bedürfnisse so zu sammeln und zu strukturieren, dass man eine angemessene technische Unterstützung für Kommunikation und Datenverarbeitung konzipieren und dauerhaft pflegen kann?
Nunja. Im besten Fall ist das exakt die Kernkompetenz von Unternehmensberatern. Mit Berater ist es schwierig und es wird massive Beschwerden geben. Explizit auf Berater zu verzichten macht es zum Glücksspiel mit ganz geringer Gewinnchance.
Es ist leider so, dass bisher kaum Problembewusstsein besteht, den Wildwuchs an improvisierten Insellösungen zu konsolidieren und gerade besteht die Gefahr, dass sich das schnell weiter wächst und sich verfitzt.
Richtig. Das ist der Normalzustand unter Usern. Egal wie professionell. Und genau das macht es so problematisch:
User kennen die aktuelle Lösung und haben grundsätzlich Angst vor jeder Änderung. Sie dazu zu bekommen eine Änderung mitzumachen ist schwierig.
Mensch könnte nun die Beteiligten (evtl. auch gruppenweise) zusammen holen und als Brainstorming Wünsche und Probleme einsammeln und die Ergebnisse hernach im kleinen Kreis sortieren. Es könnte aber auch sinnvoll sein, z.B. in einem Fragebogen gezielt Informationen zu sammeln, damit das nicht ausufert und die Beteiligten vorwiegend relevante Informationen liefern.
Direkte einmalige Befragungen bringen Dir viel Rauschen in Form von Platitüden und unwichtigen Problemchen die gerade an der Oberfläche sind. Fragebogen bringen so viel Müll dass das Signal vom Rauschen nicht unterscheidbar ist - vorrausgesetzt Du hast überhaupt die richtigen Fragen gestellt und die Beteiligten lassen sich dazu herab zu antworten.
Geh in die Gruppen wenn sie sich sowieso treffen und diskutiere direkt mit ihnen. Lerne sie kennen. Lerne ihre Sorgen und Probleme kennen.
Nachgedacht werden müsste dann zuerst über Prozesse, Rollen, Sicherheitsanforderungen usw., danach über geeignete Plattformen und Services und erst dann über technische Umsetzung: Hardware, Administration und Skalierung.
Nein, als erstes musst Du über Menschen und ihre Probleme nachdenken. Plattformen, Services, etc. ergeben sich dann als Lösung im 2. oder 3. Schritt.
Das kann alles einerseits beliebig komplex werden, ist aber andererseits ein allgegenwärtiges Thema und sollte sich auch mit normaler Lebenserfahrung adäquat bearbeiten lassen.
Leider nicht. Normale Lebenserfahrung sagt Dir nicht wie sich Menschen in niederschwelliger Panik verhalten (genau das ist es was Du mit der Drohung einer System-Änderung auslöst).
Die gute Nachricht ist dass die Kirche haufenweise Seelsorger hat die sich mit genau solchem Verhalten auskennen - nutze diese Resource!!
Sind euch Verfahren oder Hilfsmittel bekannt, wie man das Problem partizipativ und niederschwellig angehen könnte, ohne komplett alles neu zu erfinden? Wie fragt ihr z.B. eure Kunden nach den Bedarfen?
Die professionelle Industriemethode ist: Plausch in der Kaffeeküche. Ja, im Ernst.
Sorge dafür dass die Umgebung so relaxt ist wie nur irgend möglich (Kaffee, Kekse, etc. helfen) und übe keinen Druck aus - d.h. Du kündigst das nicht als Diskussion über anstehende Änderungen an, sondern Du willst die Probleme Deiner Kunden kennenlernen und steuerst das Gespräch dann ganz behutsam in Deine Richtung. Du wirst mit jeder Gruppe(!!) mehrfach solche Gespräche führen müssen. Im Zentrum der Diskussion müssen immer die Probleme der Kunden stehen, nicht Deine Probleme. Wenn Du ein Problem hast was gelöst werden muss dann erkläre dem Kunden warum er gar nicht wusste dass es sein Problem ist und biete ihm großzügig an es für ihn zu lösen.
In Deinem Fall kann man das zum Teil an die Hauptamtlichen delegieren, aber die musst Du vorher mit der selben Methode "mitgenommen" haben.
Die zweite professionelle Methode ist "Dog Fooding" (google es!) - die aus Nutzersicht wichtigsten Änderungen an meinen Programmen gab es immer wenn ich mich ein paar Stunden neben die Nutzer gestellt habe oder wir Plätze getauscht haben und ich ein paar Stunden versucht habe die Arbeit der Nutzer zu machen. Du ahnst nicht was Du dabei alles lernst! Beispiel: eines meiner Programme hatte eine Liste von Checkboxen für die Konfiguration - die Nutzer haben sich immer beschwert dass das in der Fabrik nicht zu bedienen geht - was für mich nicht nachvollziehbar war im Büro ging es ja problemlos. Nachdem ich mal selbst Reinraumklamotten und Handschuhe anhatte und versucht habe die Liste zu konfigurieren war mir klar was nicht stimmt: stehend, mit Handschuhen und Touchpad sind Checkboxen gefühlt so winzig klein dass man sie nicht treffen kann. Innerhalb von ein paar Stunden kam von mir ein Patch der das Problem löst.
Ich bin neugierig auf eure Meinungen, vielleicht verweist ihr mich ja auch eher woanders hin, bis dahin noch schönes Wochenende!
Wenn es Budget für externe Berater gibt, die sich mit genau solchen Gegebenheiten(*) auskennen, dann spare auf keinen Fall an dieser Stelle.
(*)Ich meine: heterogene Organisation aus Freiwilligen und wenigen Hauptamtlichen. IT-Expertise kommt erst an 2. Stelle.
Meine Empfehlung:
Als allererstes und wichtigstes: egal wie Dein Zeitplan aussieht - schiebe alles um mindestens 1 Jahr nach hinten! Du wirst die Zeit brauchen.
Als zweites: was sind die Ziele der Organisation als Ganzes? Was und wo muss geändert werden? Was ist davon zwingend (z.B. wegen Gesetzen) und was ist verhandelbar? Sind andere Probleme bekannt, die man ebenfalls lösen könnte (Beschwerden die regelmäßig kommen)? Schreibe es auf und benutze das als Grundlage für die nächsten Stufen.
Als drittes und langwierigstes: beginne eine Diskussion über Probleme, die es in den Gruppen gibt. Was treibt die Leute vor Ort um? Welche Probleme haben sie? Wollen die wirklich eine Bastellösung selber betreiben oder hätten sie lieber jemand der ihnen Arbeiten abnimmt? Welche Arbeiten wollen sie trotzdem selber machen? Welche Services brauchen sie? Zeige die Probleme auf, die aus der Gesamtorganisation stammen (z.B. Datenschutz) und warum diese ein Problem für "den kleinen Mann" sind. Frage welche Hilfe man sich dafür erhofft. Lass Dir auch die Lösungen erklären die die Gruppen "gebastelt" haben - unter Umständen ist etwas dabei was für die Gesamtorganisation interessant ist.
Bring gute Kekse oder Kuchen mit wenn Du in die Gruppen gehst. So wird die Diskussion zum Highlight statt zur Pflichtübung. Ich selber benutze den Trick wenn ich wichtige IT-Diskussionen mit Kunden führen will. Merke: die Bergpredigt wurde aufmerksam aufgeschrieben weil es was zum Essen gab. ;-)
Erst wenn Du ein Gefühl dafür hast was die ganzen Grüppchen wollen und machen: fang an ein Konzept zu erstellen. Welche Services erwarten die Gruppen von der Zentrale? Welche Probleme/Services siehst Du als Profi am Horizont bereits auftauchen? Worüber wollen die Gruppen keinesfalls die Kontrolle verlieren? Was würden sie gerne abgeben? Wie fügen sich die neuen Vorgaben (wie Datenschutz) in dieses Konzept ein?
Unter Umständen gibt es Konfliktpunkte. Zum Beispiel wenn die Gruppen unbedingt ihre eigenen Webserver betreiben wollen aber damit der Datenschutz nicht gewährleistet werden kann. Nutze die vorhandenen Autoritäten (z.B. Pfarrer/Diakone) um die Diskussion langfristig in die richtigen Bahnen zu lenken. Stelle sicher dass die Gruppen das Problem verstehen und nach und nach einsehen dass sie es nicht schaffen. Sei selbst einsichtig wenn es eine Gruppe gibt die es doch selber schafft (z.B. weil ein Spezialist an Board ist) - stelle sicher dass die formellen Anforderungen gewahrt bleiben.
Erst danach gehst Du dran ein System und eine neue Architektur zu erstellen. Auch hier müssen die Nutzer wieder mitgenommen werden. Stelle neue Konzepte und Systeme vor, diskutiere sie offen mit den Gruppen. Es ist wichtig dass Du Dich wirklich erst in dieser Phase auf Systeme und spezielle Vorgehensweisen festlegst. Sonst verstellen Dir die gesetzten Systeme den Blick auf die eigentlichen Probleme.
Wichtig: kein Plan überlebt den ersten Kontakt mit der Realität. Plane den Plan zu ändern. Die maximale mögliche Änderung ist den Plan zu verwerfen und von vorne zu beginnen. Der Normalfall ist dass Du irgendein Detail nicht beachtet hast was für die jeweilige Gruppe aber wichtig ist.
Du kannst die Hauptamtlichen benutzen um Dinge zu testen - die können nicht weglaufen. Wenn es einzelne IT-kompetente Freiwillige gibt kannst Du auch die mit in die Testphase einbeziehen - die wollen meistens nicht weglaufen, sondern interessieren sich dafür und die sind es die am Ende den Support für den Rest machen. Mache auf keinen Fall einen Big Bang, sondern führe die Änderungen schrittweise ein - sonst wird es zu viel und die Leute laufen Dir weg.
Da Du selber sagst dass Du fachfremd bist: hole Dir an jeder Stelle professionelle Hilfe. Du wirst dafür Geld in die Hand nehmen müssen. Unter Umständen gibt es auch unter den Freiwilligen einige Spezialisten, die aushelfen können. Nutze die vorhandenen Kommunikationsstrukturen zusätzlich zu Deiner eigenen Kommunikation, je mehr kommuniziert wird (in beide Richtungen, nicht nur in eine) umso besser wird das Projekt laufen.
Das klingt alles sehr aufwändig und ist es auch. Letztendlich hast Du aber die Wahl: schnell, von oben gesteuert und gescheitert(*) oder langsam, aufwändig und Du hast eine faire Chance auf Erfolg.
(*) Im besten Fall scheitert das Projekt mit minimalen Verlusten an Mitarbeitern und alles bleibt beim Alten. Im schlimmst Fall bricht Dir die ganze Organisation zusammen weil die eigentlichen organisatorischen Probleme an die Oberfläche kommen und alles ruinieren - am Ende gibt es keine Freiwilligen mehr und das tolle neue System wird von keinem genutzt.
Konrad
Hallo Konrad,
uiuiui, das ist viel Holz.
Zunächst mal herzlichen dank für die Mühe, wir nehmen uns das mal vor, wenn es konkreter wird, melde ich mich vielleicht noch mal.
Udo
Am 19.05.2021 um 16:12 schrieb Konrad Rosenbaum:
Hi,
Du hast ein Problem. Die schlechte Nachricht: es ist im Wesentlichen nicht technischer Natur. Will heißen: die technischen Aspekte sind anspruchsvoll, aber lösbar - die nicht-technischen Aspekte sind richtig schwierig. Die gute Nachricht: Du hast erkannt dass Du ein Problem hast
- das ist mehr als die meisten jemals schaffen.
On 15/05/2021 14:13, Udo Forstmann wrote:
nachdem ich als fachfremde Person hier seit Jahren nur gelegentlich herumlurke, versuche ich jetzt mal den direkten Zugang ins Herz der IT-Kompetenz zu nutzen ;^)
Gegeben sei eine Organisation (im kirchlichen Bereich, tut aber erst mal nichts zu Sache) in der es gerade strukturelle Veränderungen durch Zusammenlegungen gibt.
Mal wieder...?
Es gibt einige hauptamtliche und viele ehrenamtliche Beteiligte mit _sehr_ heterogenen Beziehungen, insgesamt geschätzt etwa hundert Leute.
Ein Kern an Verwaltungstätigkeit ist relativ streng geregelt und an die übergeordnete Behörde gebunden, mit umfassenden Archivierungs- und Datenschutzregeln. Auch das muss aber modernisiert werden.
Hier liegen die auf direktem Weg lösbaren Probleme. Angestellten kann man Weisungen erteilen (in Grenzen).
Darüber hinaus bestehen aber viele Gremien und Gruppen mit teils wechselnden Mitgliedern und Aufgaben, deren Mitarbeit und Interaktion ausdrücklich erwünscht ist und gefördert und erleichtert werden soll.
Hier wird es richtig schwierig - Freiwillige durch eine Migration bringen ist wie Katzen hüten im freien Feld. Einige werden weglaufen, der Rest wird etwas unerwartetes machen.
Wie schafft man es nun (ohne ein Untenehmensberatungsunternehmen zu befassen) die verschiedenen Bedürfnisse so zu sammeln und zu strukturieren, dass man eine angemessene technische Unterstützung für Kommunikation und Datenverarbeitung konzipieren und dauerhaft pflegen kann?
Nunja. Im besten Fall ist das exakt die Kernkompetenz von Unternehmensberatern. Mit Berater ist es schwierig und es wird massive Beschwerden geben. Explizit auf Berater zu verzichten macht es zum Glücksspiel mit ganz geringer Gewinnchance.
Es ist leider so, dass bisher kaum Problembewusstsein besteht, den Wildwuchs an improvisierten Insellösungen zu konsolidieren und gerade besteht die Gefahr, dass sich das schnell weiter wächst und sich verfitzt.
Richtig. Das ist der Normalzustand unter Usern. Egal wie professionell. Und genau das macht es so problematisch:
User kennen die aktuelle Lösung und haben grundsätzlich Angst vor jeder Änderung. Sie dazu zu bekommen eine Änderung mitzumachen ist schwierig.
Mensch könnte nun die Beteiligten (evtl. auch gruppenweise) zusammen holen und als Brainstorming Wünsche und Probleme einsammeln und die Ergebnisse hernach im kleinen Kreis sortieren. Es könnte aber auch sinnvoll sein, z.B. in einem Fragebogen gezielt Informationen zu sammeln, damit das nicht ausufert und die Beteiligten vorwiegend relevante Informationen liefern.
Direkte einmalige Befragungen bringen Dir viel Rauschen in Form von Platitüden und unwichtigen Problemchen die gerade an der Oberfläche sind. Fragebogen bringen so viel Müll dass das Signal vom Rauschen nicht unterscheidbar ist - vorrausgesetzt Du hast überhaupt die richtigen Fragen gestellt und die Beteiligten lassen sich dazu herab zu antworten.
Geh in die Gruppen wenn sie sich sowieso treffen und diskutiere direkt mit ihnen. Lerne sie kennen. Lerne ihre Sorgen und Probleme kennen.
Nachgedacht werden müsste dann zuerst über Prozesse, Rollen, Sicherheitsanforderungen usw., danach über geeignete Plattformen und Services und erst dann über technische Umsetzung: Hardware, Administration und Skalierung.
Nein, als erstes musst Du über Menschen und ihre Probleme nachdenken. Plattformen, Services, etc. ergeben sich dann als Lösung im 2. oder 3. Schritt.
Das kann alles einerseits beliebig komplex werden, ist aber andererseits ein allgegenwärtiges Thema und sollte sich auch mit normaler Lebenserfahrung adäquat bearbeiten lassen.
Leider nicht. Normale Lebenserfahrung sagt Dir nicht wie sich Menschen in niederschwelliger Panik verhalten (genau das ist es was Du mit der Drohung einer System-Änderung auslöst).
Die gute Nachricht ist dass die Kirche haufenweise Seelsorger hat die sich mit genau solchem Verhalten auskennen - nutze diese Resource!!
Sind euch Verfahren oder Hilfsmittel bekannt, wie man das Problem partizipativ und niederschwellig angehen könnte, ohne komplett alles neu zu erfinden? Wie fragt ihr z.B. eure Kunden nach den Bedarfen?
Die professionelle Industriemethode ist: Plausch in der Kaffeeküche. Ja, im Ernst.
Sorge dafür dass die Umgebung so relaxt ist wie nur irgend möglich (Kaffee, Kekse, etc. helfen) und übe keinen Druck aus - d.h. Du kündigst das nicht als Diskussion über anstehende Änderungen an, sondern Du willst die Probleme Deiner Kunden kennenlernen und steuerst das Gespräch dann ganz behutsam in Deine Richtung. Du wirst mit jeder Gruppe(!!) mehrfach solche Gespräche führen müssen. Im Zentrum der Diskussion müssen immer die Probleme der Kunden stehen, nicht Deine Probleme. Wenn Du ein Problem hast was gelöst werden muss dann erkläre dem Kunden warum er gar nicht wusste dass es sein Problem ist und biete ihm großzügig an es für ihn zu lösen.
In Deinem Fall kann man das zum Teil an die Hauptamtlichen delegieren, aber die musst Du vorher mit der selben Methode "mitgenommen" haben.
Die zweite professionelle Methode ist "Dog Fooding" (google es!) - die aus Nutzersicht wichtigsten Änderungen an meinen Programmen gab es immer wenn ich mich ein paar Stunden neben die Nutzer gestellt habe oder wir Plätze getauscht haben und ich ein paar Stunden versucht habe die Arbeit der Nutzer zu machen. Du ahnst nicht was Du dabei alles lernst! Beispiel: eines meiner Programme hatte eine Liste von Checkboxen für die Konfiguration - die Nutzer haben sich immer beschwert dass das in der Fabrik nicht zu bedienen geht - was für mich nicht nachvollziehbar war im Büro ging es ja problemlos. Nachdem ich mal selbst Reinraumklamotten und Handschuhe anhatte und versucht habe die Liste zu konfigurieren war mir klar was nicht stimmt: stehend, mit Handschuhen und Touchpad sind Checkboxen gefühlt so winzig klein dass man sie nicht treffen kann. Innerhalb von ein paar Stunden kam von mir ein Patch der das Problem löst.
Ich bin neugierig auf eure Meinungen, vielleicht verweist ihr mich ja auch eher woanders hin, bis dahin noch schönes Wochenende!
Wenn es Budget für externe Berater gibt, die sich mit genau solchen Gegebenheiten(*) auskennen, dann spare auf keinen Fall an dieser Stelle.
(*)Ich meine: heterogene Organisation aus Freiwilligen und wenigen Hauptamtlichen. IT-Expertise kommt erst an 2. Stelle.
Meine Empfehlung:
Als allererstes und wichtigstes: egal wie Dein Zeitplan aussieht - schiebe alles um mindestens 1 Jahr nach hinten! Du wirst die Zeit brauchen.
Als zweites: was sind die Ziele der Organisation als Ganzes? Was und wo muss geändert werden? Was ist davon zwingend (z.B. wegen Gesetzen) und was ist verhandelbar? Sind andere Probleme bekannt, die man ebenfalls lösen könnte (Beschwerden die regelmäßig kommen)? Schreibe es auf und benutze das als Grundlage für die nächsten Stufen.
Als drittes und langwierigstes: beginne eine Diskussion über Probleme, die es in den Gruppen gibt. Was treibt die Leute vor Ort um? Welche Probleme haben sie? Wollen die wirklich eine Bastellösung selber betreiben oder hätten sie lieber jemand der ihnen Arbeiten abnimmt? Welche Arbeiten wollen sie trotzdem selber machen? Welche Services brauchen sie? Zeige die Probleme auf, die aus der Gesamtorganisation stammen (z.B. Datenschutz) und warum diese ein Problem für "den kleinen Mann" sind. Frage welche Hilfe man sich dafür erhofft. Lass Dir auch die Lösungen erklären die die Gruppen "gebastelt" haben - unter Umständen ist etwas dabei was für die Gesamtorganisation interessant ist.
Bring gute Kekse oder Kuchen mit wenn Du in die Gruppen gehst. So wird die Diskussion zum Highlight statt zur Pflichtübung. Ich selber benutze den Trick wenn ich wichtige IT-Diskussionen mit Kunden führen will. Merke: die Bergpredigt wurde aufmerksam aufgeschrieben weil es was zum Essen gab. ;-)
Erst wenn Du ein Gefühl dafür hast was die ganzen Grüppchen wollen und machen: fang an ein Konzept zu erstellen. Welche Services erwarten die Gruppen von der Zentrale? Welche Probleme/Services siehst Du als Profi am Horizont bereits auftauchen? Worüber wollen die Gruppen keinesfalls die Kontrolle verlieren? Was würden sie gerne abgeben? Wie fügen sich die neuen Vorgaben (wie Datenschutz) in dieses Konzept ein?
Unter Umständen gibt es Konfliktpunkte. Zum Beispiel wenn die Gruppen unbedingt ihre eigenen Webserver betreiben wollen aber damit der Datenschutz nicht gewährleistet werden kann. Nutze die vorhandenen Autoritäten (z.B. Pfarrer/Diakone) um die Diskussion langfristig in die richtigen Bahnen zu lenken. Stelle sicher dass die Gruppen das Problem verstehen und nach und nach einsehen dass sie es nicht schaffen. Sei selbst einsichtig wenn es eine Gruppe gibt die es doch selber schafft (z.B. weil ein Spezialist an Board ist) - stelle sicher dass die formellen Anforderungen gewahrt bleiben.
Erst danach gehst Du dran ein System und eine neue Architektur zu erstellen. Auch hier müssen die Nutzer wieder mitgenommen werden. Stelle neue Konzepte und Systeme vor, diskutiere sie offen mit den Gruppen. Es ist wichtig dass Du Dich wirklich erst in dieser Phase auf Systeme und spezielle Vorgehensweisen festlegst. Sonst verstellen Dir die gesetzten Systeme den Blick auf die eigentlichen Probleme.
Wichtig: kein Plan überlebt den ersten Kontakt mit der Realität. Plane den Plan zu ändern. Die maximale mögliche Änderung ist den Plan zu verwerfen und von vorne zu beginnen. Der Normalfall ist dass Du irgendein Detail nicht beachtet hast was für die jeweilige Gruppe aber wichtig ist.
Du kannst die Hauptamtlichen benutzen um Dinge zu testen - die können nicht weglaufen. Wenn es einzelne IT-kompetente Freiwillige gibt kannst Du auch die mit in die Testphase einbeziehen - die wollen meistens nicht weglaufen, sondern interessieren sich dafür und die sind es die am Ende den Support für den Rest machen. Mache auf keinen Fall einen Big Bang, sondern führe die Änderungen schrittweise ein - sonst wird es zu viel und die Leute laufen Dir weg.
Da Du selber sagst dass Du fachfremd bist: hole Dir an jeder Stelle professionelle Hilfe. Du wirst dafür Geld in die Hand nehmen müssen. Unter Umständen gibt es auch unter den Freiwilligen einige Spezialisten, die aushelfen können. Nutze die vorhandenen Kommunikationsstrukturen zusätzlich zu Deiner eigenen Kommunikation, je mehr kommuniziert wird (in beide Richtungen, nicht nur in eine) umso besser wird das Projekt laufen.
Das klingt alles sehr aufwändig und ist es auch. Letztendlich hast Du aber die Wahl: schnell, von oben gesteuert und gescheitert(*) oder langsam, aufwändig und Du hast eine faire Chance auf Erfolg.
(*) Im besten Fall scheitert das Projekt mit minimalen Verlusten an Mitarbeitern und alles bleibt beim Alten. Im schlimmst Fall bricht Dir die ganze Organisation zusammen weil die eigentlichen organisatorischen Probleme an die Oberfläche kommen und alles ruinieren - am Ende gibt es keine Freiwilligen mehr und das tolle neue System wird von keinem genutzt.
Konrad
lug-dd@mailman.schlittermann.de